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Dienstag, 19.11.2019 um 12:29

Fließband-Schneider aus Wipperfürth

Beschriftungsvorschlag Nr. 1 "Müller Wipperfürth", gelblicher Hintergrund mit braunen Balken, dem Stadtwappen und dem "Müller Wipperfürth" Schriftzug. Hier die Geschichte zur Bekleidungsfirma mit Auszügen aus der Zeitschrift. Der Spiegel von 1960

Der billigste deutsche Herrenschneider kam aus Wipperfürth– Müllers Anzüge kosten zwischen 68 und 148 Mark. Ein unglaublicher Preis zu dieser Zeit.

1952 lässt Alfons Müller seinen Familiennamen in Alfons Müller-Wipperfürth ändern, der Rat der Stadt hat keine Bedenken. Das Entgegenkommen lohnt sich. Der „Hosenmüller“ unterstützt den Bau von Sportstadion und eines Schwimmbad mit einer sechsstelligen Summe.

In Wipperfürth richtete er sein Zentrallager ein, von dem alle Geschäfte mit einer eigenen Fahrzeugflotte regelmäßig beliefert wurden.

Müller-Wipperfürth ist ein Vorreiter der Globalisierung. Anfang der 1970er Jahre besteht der Konzern aus 18 Fabriken in sechs Ländern und beschäftigt 8000 Mitarbeiter. Der Jahresumsatz beträgt eine halbe Milliarde Mark.

Sein Vorstoß in den 50er eine Volksaktie im Nennwert von 100 DM, für 1000 DM zu verkaufen, hatte zu dieser Zeit bereits für Aufsehen an der Aktienbörse gesorgt. Es waren bisher Höchstpreise von 350 DM pro 100 Mark Nennwert üblich.

Keiner traute es sich höhere Preise zu nehmen, ohne dass die Aktionäre gewaltig lärmten. Alfons Müller setzte sich über alle Regeln hinweg. Unüblich, aber es gab keinen Protest, sogar ein riesen großer Kohlehändler Erich Nold, wollte Kleider Müller 1,1 Millionen Mark anvertrauen.

Müller verwarf unvermittelt wieder diesen Entschluss der Aktien und es blieb bei einer riesen große Schlagzeilenreklame passend zum Weihnachtsgeschäft.

Seinen Entschluss begründete er mit der Aussage: „Ich werde es niemals zulassen, dass sich fremde, mir nicht wohlgesonnene Kreise in meinem Unternehmen breitmachen. Bei mir kann sich die Konkurrenz nicht durch den Erwerb von Aktien einschleichen. Ich lasse mir von denen mein Lebenswerk nicht kaputt machen.“

Die Entrüstung über „Don Alfonso“ war in der Bundesrepublik riesen groß, da er auch noch auf der Fahndungsliste stand wegen Verdachts auf Steuerhinterziehung. Wegen der Zudringlichkeit der Kölner Steuerfahnder floh Müller aus dem Bergischen in die Schweiz.

Der prominenteste Steuerflüchtling der Nation regierte aus seinem Wohnzimmer jenseits der Alpen. Müller war nicht beliebt bei seiner Konkurrenz, weil er neue Wege ging. Zu seiner Konkurrenz meinte er nur. Sie hassen mich und ich hasse sie. Wir haben nichts miteinander gemein. Die Konkurrenz dachte. Der Verfluchte Bluthund. Schon vom Umgang seines Unternehmens her, hobt sich der Wipperfürther deutlich von allen ab.

Bereits in den 60er erreicht er mit 6000 Mitarbeiter und 121 Millionen Mark Jahresumsatz und einem Marktanteil von mehr als 10% in der Herrenoberbekleidung, er war von 4100 Kleiderbetrieben der größte.

In Wipperfürth wurden alle Stoffe zentral zugeschnitten und an die zu dieser Zeit noch 4 weiteren Produktionsstäten zum zusammenheften geschickt. Stoffe erhielt er aus Italien und Frankreich.

Jeden Morgen um 8:00 Uhr und abends 19:00 Uhr laufen bei ihm Umsatzmeldungen ein. Er tippte und rechnete so viel, dass er es nicht mal 2 x im Jahr schaffte in seinem geräumigen Schwimmbad zu gehen. Wenn er nicht gerade mit seinem ungeübten Finger auf den Fernschreiber hackte oder über sein Telefon seine Manager verhörte, war er mit seinem Bentley oder seiner zweimotorigen Twin-Bonanza unterwegs.

Seine Konkurrenz rätselte wie Müller trotz seiner Schleuderpreise Spitzengewinne erzielte. Prüfer stellten fest, dass Müller wegen seiner Leistungszuschläge und der 40 Stunden Woche, die bereits Mitte der 1955 als erster deutscher Textilunternehmer eingeführt hatte, erheblich höhere Stundenlöhne zahlte als andere, bei denen die Arbeitszeit noch bei 43 Stunden lag.

Kleider Müller erzielte diesen Vorsprung durch Großeinkauf, Massenfertigung und Rationalisierung bis in Detail. Sämtliche Fließbandarbeiten hatte Müller vorher mit der Stoppuhr errechnet und selber vorexerziert. Ein Fließband im Werk Wipperfürth zum Beispiel, an dem am 29. Mai 1957 137 Arbeitskräfte insgesamt 314 Anzugs- und 16 Einzel-Sakkos hergestellt hatten, produzierte er später mit nur 93 Arbeitern die gleiche Menge. Das scharfe Arbeitstempo führte in zunehmendem Maße zu Krankmeldungen von Arbeitern bei den Ärzten Wipperfürths.

Müller lehnt Damenkonfektion ab. Die Frauen haben zu viel Phantasie und Zeit. Sie kommen ins Geschäft, haben unzählige Wünsche an Schnitt und Farbe, suchen stundenlang und halten den Verkaufsbetrieb auf.

Männer sind die richtigen Kunden. Die kommen ins Geschäft, weil sie einen Anzug gesehen haben. Sie ziehen ihn an, der Anzug passt, die Männer zahlen.

Die gelegentlichen Beweise von Großmut, mit denen Alfons Müller seine Mitbürger überraschte, schlugen auch nicht immer zu seinem Vorteil aus.

Einmal schenkte der flugsportbegeisterte Kleidermacher dem Luftsportverein Wipperfürth ein Segelflugzeug vom Typ Ka 2, einen Doppelsitzer im Werte von 9000 Mark. Der Aeroplan wurde auf den Namen "Wipperfürth I" getauft, in Anwesenheit illustrer Persönlichkeiten der Regierung und der Sportfliegerei in Dienst gestellt und von den Zeitungen in ausführlichen, bebilderten Artikeln als Zeugnis beispielhafter Müller-Taten belobigt. Wenige Wochen später wurde Müller beim Luftsportverein vorstellig und bat, ihm Flugzeug und den vom Verein für Transporte gebauten Wagen leihweise zu überlassen, weil er in der Schweiz zu fliegen wünsche. Der dankbare Vereinsvorstand schlug dem mildtätigen Stifter diesen Wunsch nicht ab. Indes, Müllers weißer Vogel kehrte nicht wieder an die Wipper zurück. Auf verstörte Anfragen der Luftsportler antwortete Müller ungerührt, er habe die Maschine nicht verschenkt, sondern lediglich "zur Verfügung gestellt"

Für jeden seiner Läden besaß der Wipperfürther einen Nachschlüssel. Bei Geschäftsreisen revidierte er die Verkaufsräume mit Vorliebe nach Geschäftsschluss. Stundenlang prüfte er Bücher, die Warenauszeichnung und den allgemeinen Zustand der Verkaufsräume. Wenn irgendwas nicht stimmte, legte der Chef einen Zettel mit seinem Initialen „AMW“ auf den inkriminierten Arbeitsplatz. Dieser musste sich am nächsten Tag bei Alfons Müller melden.

Fast ebenso schnell wie der wundersame Aufstieg kommt der Fall des Unternehmers. Die Kunden haben die fantasielose Müller-Wipperfürth-Massenware satt.

Der Konzern wird Stück für Stück aufgelöst, bis nur noch ein Werk in Neufelden bleibt. Dort, in Österreich, verbringt der gescheiterte Unternehmer seine letzten Jahre, Trost findet er im Alkohol. Alfons Müller-Wipperfürth stirbt am 4. Januar 1986 an Herzversagen.

Trotz allem wer in der Welt unterwegs war und bekundete er komme aus Wipperfürth, wurde er sofort mit Müller Wipperfürth in Verbindung gebracht.

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Autor: Klaus Fink / Fotos: